Erschienen im Seniorweb 21.1.2016 (www.seniorweb.ch)
Autorin: Bernadette Reichlin
Physiotherapie ist nach Duden eine Heilbehandlung mit Wärme, Wasser, Strom, sowie Krankengymnastik und Massage. Und viel Bewegung, ergänzt Physiotherapeutin Barbara Nanz.
Wer sich unter Physiotherapie eine Wellnessbehandlung mit Massage, gemütlichen Wickeln, etwas Dehnen und Einreiben vorstellt, der liegt falsch. Physiotherapie soll Training, Anstrengung, ja Arbeit sein – für den Patienten, nicht für den Therapeuten.
Einsatz ist gefragt
Barbara Nanz weiss, wovon sie spricht. Seit 1993 führt die diplomierte Physiotherapeutin FH BSc eine Praxis auf dem Lande. Was heisst, dass ihr Therapieangebot weit gefächert ist. Sie bietet Hilfestellung zur Rehabilitation nach Unfällen und Operationen, bei Krankheiten und degenerativen Veränderungen und sie behandelt und berät ältere Patienten auch prophylaktisch.
Dieser geriatrische Ansatz ist ihr besonders wichtig, denn mit guter Anleitung und geeigneten Übungen können Risiken im Alter wie Stürze, nachlassende Kräfte und eingeschränkte Beweglichkeit zwar nicht verhindert, aber doch etwas minimiert werden.
Patient muss mitarbeiten
"Im Grunde sehe ich mich als Coach, der bei Gebresten aller Art mithilft und anleitet, wieder gesund zu werden. Aber den wesentlichen Teil zur Heilung beitragen muss jeder selber." betont die Fachfrau. Dabei sei es wichtig, die Patienten individuell zu beraten. "Jeder Patient ist anders. Man muss abschätzen können, wo noch Ressourcen vorhanden sind, wo noch Kräfte mobilisiert werden können."
Barbara Nanz, die auch in Altersheimen und im Pflegezentrum der Stiftung Drei Tannen, Patienten betreut, ist kein Fan von Hilfsmitteln aller Art. Schon Walkingstöcke, aber vor allem Gehstöcke, Krücken oder Rollatoren sollten nur dort eingesetzt werden, wo es gar nicht mehr anders geht. "Die Unabhängigkeit und das Vertrauen in die eigenen Kräfte schwinden bei älteren Menschen rasch, wenn sie sich auf Hilfsmittel verlassen". Deshalb ist ihr ein gezieltes, dem Zustand des Patienten angepasstes Kraft- und Gleichgewichtstraining wichtig.
Kein Fortschritt ohne Training
"Die Beweglichkeit nimmt ohne Training bereits ab dem 30. bis 40. Altersjahr ab. Alle zehn Jahre büssen wir weitere fünf bis acht Prozent ein." Hinzu kämen im Alter Nebenwirkungen von Medikamenten, denn sowohl Antidepressiva, wie auch blutdrucksenkende Mittel, Betablocker oder sonstige Herzmedikamente haben Auswirkungen auf den Gleichgewichtssinn.
Nicht nur für Stuntmen
Die Folge davon ist eine zunehmende Unsicherheit beim Gehen. Und Stürze, auch wenn sie ohne Komplikationen verlaufen, machen Angst. Die Folge davon? Man geht seltener nach draussen und bewegt sich weniger. In der Pysiotherapie werden deshalb auch Techniken zur Sturzprophylaxe vermittelt – idealerweise bevor es zu einem Sturz kommt.
Richtig umfallen, das tönt zwar erst mal ziemlich abwegig – ausser man ist ein Stuntman – aber Barbara Nanz ist überzeugt, dass allen Senioren solch ein "Sturztraining" gut tun würde. So, wie man früher auf Teststrecken ein Fahrtraining absolvierte, um gerüstet zu sein, wenn man mit dem Auto in Schnee und Eis ins Schleudern kommt.
Um Stürze zu vermeiden – oder sich bei einem Sturz richtig fallen zu lassen – müssen Beweglichkeit und Gleichgewicht trainiert werden.
Ein Tipp hat sie für winterliche Strassenverhältnisse: Darauf achten, dass der Schwerpunkt im Körper nicht allzu sehr verlagert wird. Also weder stark vornüber gebeugt gehen noch ganz aufrecht. "Besser ist es, sich leicht seitwärts zu bewegen – wie wenn man schleichen würde. Oder so, wie man sich auf Langlaufskiern bewegt."
Bewegung ist alles
Wer sich sicher bewegt, hat Vertrauen in seinen Körper. Und dieses gute Körpergefühl versucht Barbara Nanz ihren älteren Patienten immer wieder zu vermitteln. "Jedes Ausdauertraining, sei das nun Wandern, Laufen, Nordisch Walking, Velofahren oder Schwimmen, stärkt die Körperkraft." Sich drei Mal pro Woche mindestens eine halbe Stunde lang bewegen, empfiehlt die Physiotherapeutin.
Das muss gar nicht immer eine feste Laufstrecke oder das Fitnesscenter sein. Auch zügig Treppen steigen, beim Einkaufen etwas Gas geben – zu Fuss natürlich – und ab und zu eine Extrarunde rund ums Quartier einlegen oder eine Haltestelle früher aussteigen, reichen schon. Statt im Fitnesscenter Gewichte zu heben, können auch Zeitungsbündel oder Petflaschen gestemmt oder mit dem eigenen Körpergewicht trainiert werden: Kniebeugen, Liegestütze – geht auch stehendan der Wand – und Übungen mit dem Theraband.
Knochen müssen belastet werden
"Viele schonen sich im Alter zu sehr. Gewichte tragen, sich körperlich anstrengen ist wichtig für die Knochenstruktur. Starke Knochen müssen belastet werden, sonst bauen sie Substanz ab." Dieser Grundsatz gilt noch viel mehr nach Unfällen und Operationen. "Wer wieder mobil und damit unabhängig sein will, muss trainieren, trainieren, trainieren." Die Physiotherapie bieten Anleitungen dazu, aber umsetzen muss sie jeder selber. Wenn dann aber als Belohnung doch mal eine Massage aus fachkundiger Physiotherapeutenhand winkt, dann geht alles etwas leichter.